Erzählungen
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Anna Rheinsberg |
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Zur AutorinAnna Rheinsberg, 1956 in Berlin geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Marburg/ Lahn. Das Studium der Volkskunde schloß sie mit einer Arbeit über Claire Goll ab. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen gehören Gedichtbände, Erzählungen, Theaterstücke und Briefe. Mit Autorinnen der zwanziger Jahre hat sich Anna Rheinsberg wiederholt beschäftigt. Resultat dieser Spurensuche ist u.a. auch die Bände Wie bunt entfaltet sich mein Anderssein(ebenfalls bei persona); Lyrikerinnen der zwanziger Jahre, Gedichte und Portraits sowie Kriegs/Läfe (ebenfalls bei persona). Pressestimmen"Wer das besondere Buch sucht, in dem Sprache und Fabel außergewöhnlich sind, sollte Anna Rheinsberg lesen... Diese Familien– und Alltagsgeschichten sind mit einem fabelhaften Sinn für Genauigkeit und Situationskomik geschrieben... Anna Rheinsberg klebt ihren Figuren keine Bedeutung auf, sie begnügt sich nicht mit einer fotografischen Oberfläche – sie kehrt das innere Erleben nach außen. So bringt sie Emotionen zum Schwingen. Und dieser Gefühlsraum mit seiner verdichteten Sprache ist es, der ihre Prosa geheimnisvoll funkeln lässt." (Lutz Schulenburg, büchermenschen) "Darf man Anna Rheinsberg mit Walter Kempowski vergleichen? In einer Hinsicht gewiss: Sie hat die Stimmen ihrer Ahninnen eingefangen; ihre Worte, ihre oft so treffenden Prägungen machen die Lektüre der Erzählungen, die unter dem Titel SCHWARZKITTELWEG gesammelt wurden, zu einer Entdeckung. Dieser Stil ist in ihre Prosa eingegangen. Die h&ounl;chste Leidenschaft ... steht unmittelbat neben dem Lakonismus der weiblichen Lebenserfahrung." (Lorenz Jäger, FAZ) "Ein Kleinod innerhalb jener Literatur, die gegen das Vergessen geschrieben wird, sind die drei Geschichten von Anna Rheinsberg, die im Band Schwarzkittelweg veröffentlicht sind... Schwarzkittelweg vereinigt drei Erzählungen, die als Ganzes gelesen, einen Gang durch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ermöglichen... Wenn Marthe und Ruth in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach angesiedelt sind, führen die Erzählungen Schwarzkittelweg und Immer heiter und Likör bis in die 90er Jahre. Doch das Thema ist geblieben: die Zerstörung der Menschen durch Faschismus und Natinalsozialismus, die daraus resultierende Beziehungslosigkeit, das Mißtrauen und die soziale Isolation. Anna Rheinsberg schreibt eine nicht leicht zu entziffernde Prosa. Die Sätze sind zwar kurz, die Syntax einfach, doch flüchtige Lektüre ergibt keinen Sinn. Jedes Wort muß erschlossen werden, erst dahinter eröffnet sich der Text, beginnt das eigentliche Lesen. Sich dieser Arbeit nicht zu verweigern, schärft Blick und Wahrnehmung. Auch für heutige Geschichte(n)." (Liliane Studer, Der Kleine Bund, Bern) "Im Mittelpunkt der Erzählungen stehen Frauen, ihre großen und kleinen Kämpfe ums Über-Leben, um Glück und Liebe. Da ist Marthe, eine resolute Person mit einer Vorliebe fürs eigene Geschlecht, die auch in der NS-Zeit ihrem Gewissen -- und nicht dem “Führer” treu bleibt. Und da ist Ruth, eine Pflegekind, das Marthe großzieht. Die Beziehung zwischen Ruth und der Erzählerin ist zeitlebens geprägt von Erwartungen und Ansprüchen, die nicht erfüllt werden (können) und zu heftigen Spannungen führen. Anna Rheinsberg ist mit Schwarzkittelweg ein atmosphärisch dichtes Buch mit starken lyrischen Passagen gelungen. Vor dem Hintergrund brisanter zeitgeschichtlicher Ereignisse beschreibt sie Familien- und Beziehungskonstellationen, wie es sie keineswegs nur in diesem verschlafenen Berliner Vorort gegeben hat. Sie seziert Familienlegenden, und sie nimmt Abschied von ihrer Kindheit und der geliebten Großmutter. Und von Jewel, dem ersten jungen Liebhaber, der sie verläßt ‘für die Revolution’." (Claudia Schoppmann, BLATTGOLD, Berlin) Textprobe"Und Jewel spricht. Fragt: Kommst du mit? Wohin? frage ich. Nach Italien, flüstert Jewel. Ich werde nicht mitgehen. Ich muß doch zur Schule gehen, Jewel! Mutter träumt. Früh tippt sie Listen bei der Spedition, und wenn sie am Nachmittag die zugige, kahle Dorfstraße entlangstöckelt, wird ihr schon beim Anblick der Zuckerrübenfelder übel, und sie sehnt sich nach Gin und einem heißen trockenen Wind, nach Kneipen, einem Lied aus der Musikbox und Beerdigungsfeiern, die sie, als sie noch bei der Steuerbehörde war, ausrichtete. Aber der Wind ist kalt. Der Hund hungrig. Harry Krise schläft. Karg bemessene Stunden zwischen Tag- und Nachtschichten. Bis Mutter die Treppe heraufstapft und bei den Maggisträuchern zu heulen anfängt. Steh auf, Harry! Du, Rehlein, tanzt im Dachgeschoß. Es ist immer dieselbe alte Melodie. Ich höre deine Schritte über mir. Die Platte ist zerkratzt, und die Nadel schrammt. Heesters plärrt. Und Robert Stolz. Jewel hat unverschämt schöne grüne Augen. Er flitzt durch die Johannisbeerbüsche, ich ihm nach. Mit meinem Vokabelbuch und Jewels Gewehr, der Maobibel, aus der er mir vorliest. Er kaut an seinem Haar. Vom Totschießen spricht er, Rehlein. Aber sag nichts." |