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Walter Mehring
Das Mitternachtstagebuch
Texte des Exils 1933-1939
Die erste repräsentative Auswahl Mehrings journalistischer Texte aus den dreißiger Jahren. Sie geben ein eindrucksvolles Zeitbild und bezeugen die erstaunliche Vielseitigkeit des Prosaisten Mehring. In hinreißenden Satiren und bitterbösen Satiren setzt sich Mehring mit dem Rassenwahn der Nazis und ihren Kriegsplänen auseinander. Die Verfolgung der Juden in Deutschland, die Appeasement-Politik, die letzten Tage von Wien im März 1938 und die Haltung der Intellektuellen gegenüber dem Stalinismus sind weitere Themen. Seine Nachrufe auf Freunde und Kollegen wie Tucholsky, Toller, Horváth und Ossiezuky zeigen einen einfühlsamen, liebevollen Mehring.
Buchentstehung
Der Herausgeber des Bandes, Georg Schirmers, hatte mir dieses Projekt vorgeschlagen. 1996, zum hundertsten Geburtstag Walter Mehrings, stellten wir es im Berliner Brechthaus vor.
Zum Autor
Walter Mehring (1896-1981) stammt aus Berling und zählt zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern seiner Zeit. Er debütierte in den zwanziger Jahren mit Gedichten und Chansons, schrieb Polemiken, Aufsätze für verschiedene Zeitschriften und publizierte Dramen und Romane.
"Wenn die neue Zeit einen Dichter hervorgebracht hat: hier ist er", urteilte Kurt Tucholsky. 1933 konnte sich Mehring mit knapper Not ins Ausland retten.
Das Exil führte ihn zunächst nach Wien, dann nach Paris und weiter in die USA.
Sein Credo lautete: “Meine Heimat ist die deutsche Sprache. Zuständig bin ich überall, staatenlos im Nirgendwo.” Nach dem Krieg kehrte er nach Europa zurück, ohne an seine frühreren Erfolge anknüpfen zu können. Er starb in Zürich.
Pressestimmen
"Nichts stört das Vergessen, nichts außer dem schmalen Band,
den der kleine Mannheimer persona verlag jetzt als, Hommage an
einen großen Autor des deutschen Exils’ überreicht. Eine einsame
Ehrung, die umso mehr auffällt, als man hier erstmals versammelt
findet, was der Schriftsteller ehedem, nach der Flucht aus
Deutschland, überhaupt noch veröffentlichen konnte ... Mit bitterer
Ironie, mit Sarkasmus bisweilen fasst er die Zeit; und wie von
selbst entlarvt sich dabei, wer in den Griff seiner Sätze gerät.
Ein Menschenrecht auf den Irrtum, wie es Heiner Müller Jahrzehnte
später für die Parteigänger der nachfolgenden Diktatur einklagen
wollte, konnte Mehring nie anerkennen, nicht für die
Schriftsteller, die unter allen Umständen ,ihr Recht auf
Kritik bewahren’ sollten. Den Linken, die bei Stalin gern
übersahen, wofür sie Hitler zu Recht anklagten, hat er
schon 1937 vorgehalten, dass es nicht die ‘Sache der Geistigen’
ist, aus taktischen Gründen ‘ja und amen’ zu sagen."
(Thomas Rietzschel, DIE PRESSE/ Wien)
“Als Epitaph ... erscheint nun unter dem nach Mehring schmeckenden
Titel Das Mitternachtstagebuch diese Auswahl aus seinen im Exil
entstandenen Zeitungsartikeln. Hoffentlich nicht zu spät, um
ein paar Leute daran zu erinnern, was sie diesem Mann schulden...
Es muss die Freiheit jedes einzelnen Lesers bleiben, sich aus
diesen Aufsätzen, Satiren und Glossen eine Vorstellung von dem Drama zu bilden, das sich nach Beginn des Exils im Innenraum einer dichterischen Intelligenz abgespielt hat ... Doch immer heftiger beflügelt Walter Mehrings Schreiben der Schwung einer tragischen Vitalität, die aus dem Wissen erwächst, dass jede Macht, die über Gebirge von Leichen in ein ‘Morgenrot’ strebt, ewiger Verdammnis anheimfallen muss." (H. H. Kramberg, Süddeutsche Zeitung)
Textprobe
Auf Geheiß der Reichsregierung fand in allen deutschen Gauen einschließlich der remilitarisierten Rheinlandzone der Deutsche Reichseinheits-Frühling statt. Die Knospung, die schlagartig an allen Stämmen, von der Edda-Birke bis zur Teutoburger Eiche, von der fälischen Linde bis zur sudetendeutschen Pappel einsetzte, gestaltete sich zu einer machtvollen Vertrauenskundgebung für den Führer und sein Werk und verfehlte auch ihren Eindruck auf die Fremden nicht, die zahlreich herbeigeeilt waren, um diesen neuen Beweis deutschen Aufbauwillens zu bestaunen ... Erwähnen wir noch, daß diese, in ihrer Totalität nie dagewesene Knospenmobilisierung auf Befehl des Führers in einem Film 'Pg. Lenz ist da!' unter der Leitung von Frau Leni Riefenstahl verewigt wurde, die mit ihrem Stabe das heimliche Knospen und Sprießen vom Meeresbusen bis zur Gletscherspalte in Kamera und Mikro belauschte, so müssen wir sagen: das deutsche Volk nebst den Grenzgebieten müssen auf den Knien jenen Männern danken, die in aufopferungsvoller Pflichterfüllung den Frühling zuwege gebracht haben. (Der Sieg an der Frühlingsfront)
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