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Rose Lagercrantz
Wenn es einen noch gibt
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg lernen sich die Eltern der Autorin in Schweden kennen: Ella aus dem rumänischen Sighet hat Auschwitz überlebt, der Deutsche Georg hat gegen Hitler gekämpft. Die kleine Rose entdeckt nach und nach, was ihre Familie besonders macht: Manche Verwandte existieren nur auf Fotografien, andere sind über die ganze Welt verstreut. Rose Lagercrantz begleitet ihre Mutter Ella in deren letztem Lebensjahr und schildert die Gespräche und Erlebnisse, die sie auf ihren "Familienreisen" nach Frankreich, Südafrika, Kanada oder Ungarn hatte. Sie will verstehen, was es bedeutet, wenn es einen noch gibt.
Lagercrantz' Sprache ist schnörkellos und ruhig. Gerade dadurch entfaltet sie einen starken Sog, sodass es "fast unmöglich ist, sich loszureißen", wie Paula Helgesson im Svenska Dagbladet schrieb.
Buchentstehung
Angelika Kutsch schrieb mich eines Tages an und schlug mir die deutsche Ausgabe vor. Sie hatte es schon bei mehreren Verlage versucht, die alle der Meinung waren, zu diesem Thema gäbe es bereits genug Bücher auf dem deutschen Markt. Eine gemeinsame Freundin riet ihr glücklicherweise, es beim persona verlag zu probieren. Ich war begeistert. Es ist mir eine große Freude und Ehre, dieses Buch verlegen zu dürfen!
Zur Autorin
Rose Lagercrantz wurde 1947 in Stockholm geboren. Sie arbeitete in einem Kindertheater sowie für Funk und Fernsehen, bevor sie zu schreiben begann. Ihre zahlreichen Kinderbücher wurden in viele Sprachen übersetzt und die Autorin mehrfach preisgekrönt. Die persönliche Webseite der Autorin finden Sie unter: www.roselagercrantz.se
"Wenn es einen noch gibt" ist ein Buch für Erwachsene.
Zur Übersetzerin
Angelika Kutsch arbeitete viele Jahre als Lektorin und lebt heute als freie Übersetzerin. Für ihre Übersetzungen wurde sie mehrfach mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Pressestimmen
"Es ist fast unmöglich, sich loszureißen … liebevoll und schön." (Paula Helgesson, Svenska Dagbladet)
Textprobe
Nun muss ich mich beeilen, alles zu erzählen, ehe es ganz verschwindet.
An das meiste kann ich mich erinnern. An die unerklärliche Freude, die ich tagsüber empfand. Am Abend dann die schleichende Angst vor dem, was in unserem Kohlenkeller geschah. Die Angst vor Svenne und Göran, den gefährlichen Schlägern in unserer Straße. Wenn ich die beiden auch nur von ferne sah, stürmte ich nach Hause zu Mama, die mit ihren himmelblauen Augen immer über mir wachte. Aber niemand konnte mir helfen, nur mein starker Papa, Georg. Leider war er fast nie da.
Papa war Geschäftsmann und reiste viel herum, aber manchmal kam er nach Hause und füllte die Luft mit fremden Namen wie Berlin, Dresden und Leipzig. Und das Wohnzimmer füllte er mit Geschenken - ein Gemälde, Porzellanteller, geschmückt mit Rosendekor, oder eine Tischuhr. Er hatte einen Uhrentick. In unserer kleinen Wohnung im Filvägen 9 in Midsommarkransen sammelten sich immer mehr Uhren an. Wir hatten eine Kuckucksuhr, wir hatten eine vergoldete Tischuhr mit einem Hirten und seiner Begleiterin, die einen Hügel hinaufkletterten, und so weiter und so weiter. Allen Uhren gemeinsam war, dass sie nicht gingen.
So viele Uhren, aber keine Zeit. Die Zeit gab es noch nicht. Nur Warten. Warten darauf, dass Mama aufhören würde, in verschiedenen Sprachen zu telefonieren, die ich nicht verstand - Ungarisch oder Rumänisch. Warten darauf, dass ich groß wurde und zur Schule kam. Warten auf Papas Heimkehr, den Kofferraum voller neuer Schätze. Ich durfte ihm helfen, sie aus dem Auto nach oben in die Wohnung zu tragen. Alle Kinder der Straße standen um uns herum und schauten zu.
Wenn er nach Hause kam, ging Papa als Erstes schlafen, denn er war müde, nachdem er lange Strecken mit dem Auto gefahren war. Aber wenn er ausgeschlafen hatte, wurde sein Aufstehen königlich. Er nahm ein Bad in dem kleinen Badezimmer, das vom heißen Wasser dampfte und nach Teerseife roch.
Danach kleidete er sich langsam und in aller Ruhe an. Er pflegte immer eine Weile in Unterhemd und Unterhose auf der Bettkante sitzen zu bleiben, bevor er sich nach seinem elektrischen Rasierapparat streckte.
"Na, Mutze Putze, was machst du", sagte er, wenn er mich, die nicht eine Sekunde von seiner Seite wich, wie zufällig bemerkte.
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