Roman
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Anna Gmeyner |
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Zur AutorinAnna Gmeyner, 1902 in Wien geboren, gehörte um 1930 zur literarischen Avantgarde. Ihre Theaterstücke ("Heer ohne Helden", "Automatenbüffet") wurden bis 1933 mit Erfolg in Deutschland aufgeführt. Das Exil führte sie über Paris nach England. Sie schrieb Filmdrehbücher und Romane, in späteren Jahren nur noch auf englisch. Die Autorin starb 1991 in York. Pressestimmen"Zeitlose Miniaturen von Männern und Frauen." Konrad Heidkamp, DIE ZEIT "Der Roman ist überlegt komponiert, lebendig in der Zeichnung der Figuren und voller Poesie - ein Text, dessen ungeschminkte Beobachtungen und Wendungen immer wieder überraschen ... Es geht eine Art Magie von der Figur der Manja aus." Beate Tröger, FAZ "(Die) späte Aufmerksamkeit hat die Geschichte um das Mädchen Manja absolut verdient ..." Bitte lesen die vollständige Rezension online auf aviva-berlin.de Textprobe"'Warum, zum Teufel, kommt sie nicht?' schrie er. 'Heini!? Bist du überhaupt noch da? Siehst du immer noch nichts?' 'Nein', antwortete Heinis Stimme. 'Aber es ist schon finster, man sieht nicht mehr weit.' Heini stand mit dem Rücken zum Fluß an die Kastanie gelehnt, von der man den Hang des Hügels, die Felder und einen Teil der Straße übersah. Nur einzelne Worte der Freunde erreichten ihn. Er hörte nicht zu und rührte sich nicht. Er war nicht eigentlich traurig, seit er wußte, daß Manja fortging. Es war unerklärlich und so, als ob man nur eine Hand hätte oder ein Auge. Manja war notwendig, mit ihm verwachsen, da, und für immer. Es ließ sich bei aller Mühe nicht vorstellen, daß das aufhören könnte. Sie waren heute ein paar Augenblicke auf der Straße hin- und hergegangen, Manja holte Brötchen und Milch, und wie sie mit der großen Tasche vor dem Haus stand, bereit hinaufzugehen, und zögerte, da sie Heini in den Wirrwarr des Packens und der zerstörten Wohnung nicht hinaufnehmen konnte, fiel beide Kinder im gleichen Moment brennend der Schmerz des Abschieds an. Heini sah, daß Manjas Augen sich mit Tränen füllten, ihr Kopf knickte plötzlich im Hals und senkte sich auf die Brust. 'Es ist doch schön, daß du zu deinem Vater kommst', sagte Heini leise, 'und daß ihr keine Sorgen mehr habt.' Da blickte sich Manja nach allen Seiten um, um sich zu überzeugen, daß kein Mensch in der Nähe sei und sie hören könnte, und, das zuckende Gesicht ganz nah an Heinis, flüsterte sie: 'Ich sag' dir was, Heini, nur dir, keinem anderen. Meirowitz ist nicht mein Vater. Das darf keiner auf der Welt wissen, nur du', und verschwand im Dunkel des Treppenflurs. Ihr Geheimnis erfüllte ihn mit tiefer Beunruhigung. Er verstand es nicht, und nichts kam ihm zu Hilfe. Sein Wissen von naturwissenschaftlichen Vorgängen, die man ihm erklärt hatte, die Mischung der Samen und Eizelle zum Verständnis heranzuziehen, kam ihm ebensowenig in den Sinn, wie die Gesetze der Erdkunde mit Manjas Geheimnis in Verbindung zu bringen. Das war abgekapselt und ohne Bezug. Manjas Vater war tot, und der, der für ihren Vater galt, war nicht ihr Vater. Dieses beunruhigend Unverständliche schien zusammenzuhängen damit, daß Manja fortging, daß es geschah, daß ein Mensch, der zu einem gehörte, plötzlich im Dunkel verschwand. 'Jetzt geh' ich sie holen', rief Karli laut, und im gleichen Augenblick sah Heini Manja auf dem Hang kommen, mit den Händen rudernd in großen Sprüngen. Er hätte beinahe vergessen zu pfeifen, gab ein kurzes, scharfes Signal und lief ihr entgegen. Während zu gleicher Zeit das blaue und das grüne Licht aufflammte, einen Augenblick später das rote, so daß der vertraute Hang mit Bäumen und Zäunen sich in eine phantastisch wunderbare Traumlandschaft verwandelte, die zugleich den Zauber fremder Gärten hatte und die Herrlichkeit erleuchteter Theaterkulissen, sprang und tanzte sie in dem dreifarbigen Lichtschein, warf die Arme hoch, schrie, sang und jubelte. 'Wir fahren nicht. Ich bleibe da. Ich bleibe da!'" |