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Elisabeth Freundlich
Finstere Zeiten
In vier Erzählungen hat die Autorin Erfahrungen aus der Nazizeit und des Exil verdichtet. Mit großer atmosphäricher Genauigkeit
zeichnet sie Im Steingebirg ein kleinstädtisches Klima des Misstrauens, das sofort in Hass umschlagen kann, wenn sich
ein Opfer findet. In Der Stein der Weisen geht es um die Herstellung und Verbreitung von Tarnschriften, in
Die Gesundung und Statt einer Ehrensalve sind Diskussionen und Entwicklungen innerhalb von
illegalen Widerstandsgruppen Thema. Dabei steht immer der Einzelne im Mittelpunkt, sein Mut, aber auch seine Zweifel und seine Angst.
Buchentstehung
1984 bot mir Elisabeth Freundlich diese Erzählungen an. Deren Sprache und Inhalt überzeugten mich sofort. Ich fuhr nach Wien, um die Autorin kennenzulernen - eine Reise, die viele folgen sollten.
Wir wählten zusammen die Texte aus und hatten uns auch nach Erscheinen des Bandes viel zu erzählen.
Für diese Gespräche, an denen oft Günther Anders teilnahm, bin ich überaus dankbar. Wir blieben bis zu ihrem Tod in engem Kontakt.
Zur Autorin
Elisabeth Freundlich wurde 1906 in Wien geboren. Sie studierte Romanistik, Germanistik,
Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften. 1938 emigrierte sie nach Frankreich und in Paris war sie
Mitbegründerin der "Ligue de l'Autriche Vivante". 1940 konnte sie isch nach Spanien retten und floh weiter
in die USA. Dort arbeitete sie als Bibliothekarin und Feuilletonredakteurin der "Austro-American Tribune" und unterrichtete an der Princeton University.
In Amerika heiratete sie Günther Anders und kehrte 1950 mit ihm nach Wien zurück.
Sie arbeite dann als Übersetzerin (aus dem Englischen) und Jouralistin.
In den siebziger Jahren schrieb sie für den ORF die Serie " Galizien − aber wo liegt es?", die
sich mit der Judenverfolgung beschäftigte und ihr einen Waschkorb voller Schmähbriefe eintruf. In den achziger Jahren wurde sie mit mehreren
Buchpublikationen bekannt - darunter Der Seelenvogel, Die Ermordung einer Stadt namens Stanislau, Die fahrenden Jahre.
Die Autorin starb am 25. Januar 2001 in Wien.
Pressestimmen
"Desillusionierend: ja, aber gerade wegen ihrer Ehrlichkeit auch aufwühlend und ermutigend - so wirken diese Erzählungen, die, vielsträngig und vielschichtig, eigentlich kleine Romane sind." (Erich Hackl, Die ZEIT)
"Ein wunderschönes, todtrauriges und gleichzeitig Mut machendes Buch." (Ingrid Strobl, EMMA)
"Mir gefällt's gut, wie die Freundlich hinter der Butzenscheibenromantik und der Idylle Verlogenheit und Brutalität, Stumpfsinn und Gleichgültigkeit aufspürt. Außer Graf und Scharrer kenne ich niemand, der mit solch bösem, realistischen Blick das ländliche Leben seziert hat." (Stefan Gleser, Communale (Heidelberg))
"Es ist Gelegenheit, eine österreichische Autorin zu entdecken, die uns etwas zu sagen hat. Gerade in einem Land, das sich offenbar schwer mit seiner Vergangenheit tut, brauchen wir Leute, die als moralische Instanzen menschenfeindliche Zeiten im Gedächtnis behalten." (Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten)
"Hier erfahren politische Ereignisse und Erkenntnisse in menschlichen Schicksalen eine gedankliche und poetische Verdichtung, die diese Finsteren Zeiten für uns nachdrücklich ins Licht rückt." (Barbara von Becker, Süddeutsche Zeitung)
Textprobe
Attraktiv warst du nicht. Hundsmager, platt vorn und hinten,
kamst du auf diesen gewissen Weltanschauungstretern daher, die
wir, weiß der Himmel, warum, für so geeignet hielten, wenn man
die Welt aus den Angeln heben wollte. Deine Röcke waren immer
viel zu lang, weil du dich deiner Beine schämtest, X oder O,
also das weiß ich nicht mehr, rachitisch jedenfalls. Mit allzuviel
Butter und Milch hatte man dich nicht großgezogen, soviel war klar.
Lieblos geschnitten, strähnig hing dein Haar, einen Friseur
aufzusuchen, das waren für dich einfach Faxen. 'Wir haben die
bessere Idee, aber die Nazis haben die hübscheren Mädels', pflegte
einer aus der Gruppe zu sagen, und sah man dich an, mußte man ihm
wirklich recht geben. Nur die Augen, die waren was. Für gewöhnlich
würdigtest du einen keines Blickes, aber wenn das aus irgendeinem
Anlaß dann doch geschah, dann ging einem das noch eine Weile nach.
Braune Augen, sanft zumeist, und so ein fremdes Glitzern lag darin.
Man konnte da hinein schaun und schaun und kam doch nicht auf den
Grund. Damals hab' ich darüber natürlich nicht weiter nachgedacht.
Ein Schnappschuß einfach und irgendwohin geschmissen. Aber als mir
dieser finstere Geselle aus Mexiko über dich schrieb, da stand das
Bild wieder in aller Schärfe vor mir. Ich war zu jener Zeit in New
York, mitten im Krieg, 1940 oder so. Ich hatte ihn zuvor nur
flüchtig, das eine oder andere mal in Paris getroffen. Aber seit er nach Mexiko entkommen war, schickte er mir regelmäßig diese Listen. Auf der einen Seite Namen, von
denen ich den oder jenen kannte, auf der anderen Seite die französischen Deckadressen. Dabei konnte man Lebensmittel damals gar nicht mehr schicken. Man mußte Geld nach Portugal schicken, und die schickten dann - Sardinen. Anderes durften sie auch nicht mehr schicken. Und selbstverständlich nie ein Wort der Bestätigung von drüben, die waren allesamt verstummt. Man rannte Komitees die Türen ein wegen dieses Geldes, und dann erfuhr man nicht einmal, ob diese Laufereien überhaupt noch einen Sinn hatten. Dein Name fehlte seit einiger Zeit auf den Listen und so fragte ich ihn nach dir. 'Gestrichen, tot', schrieb er zurück, - aber damals warst du noch gar nicht tot! - 'vergiß sie. Streich auch du sie aus, sie hat nie gelebt, für keinen von uns!' Also, das war mir zu viel. Da waren plötzlich deine Augen da. (Statt einer Ehrensalve)
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