2003

128 Seiten
D: € 14,50, A: € 15,00, SFR 26,50
ISBN 3-924652-31-7

Geraldina Colotti
Aus Zufall erschlug ich die Langeweile und sie verurteilten mich daran zu streben


Aus dem Italienischen und mit einem Nachwort von Peter O. Chotjewitz    

"Aus Zufall erschlug ich die Langeweile. Und sie verurteilten mich, daran zu sterben", lautet einer der kürzesten Texte dieser Sammlung. Von Langeweile kann allerdings keine Rede sein, denn die scharfe Beobachtungsgabe, sprühende Fantasie und philosophische Veranlagung der Autorin sorgen für ein vielseitiges Leseerlebnis. Wie lassen sich Ideale verwirklichen? Wie klingt es, wenn sie an Gefängnismauern prallen? Geraldina Colotti hat ihre persönliche Antwort erschrieben und mit Witz und Poesie ein atmosphärisch dichtes Textbündel geschnürt. Neben kritischen Reflexionen über das Leben im Untergrund finden sich symbolisch verdichtete Szenen. Karl Marx will sich noch einmal das Gespenster-Laken umschlingen, um durchs veränderte Europa zu geistern, und eine aztekische Göttin lenkt bei einer Festnahme die tödliche Kugel ab ...
Zorn und Protest verbinden die Globalisierungsgegner von heute mit den politischen Rebellen der sechziger und siebziger Jahre. Ein aktuelles Buch!

Buchentstehung
Der vorliegende Band, 1997 bei Voland in Rom erschienen, reflektiert die Erfahrungen der Autorin als verurteiltes ehemaliges Mitglied der Brigate Rosse. Ich wurde durch Guido Lagomarsino auf sie aufmerksam, der als Agent für kleinere italienische Verlage tätig ist. Der ungewöhnliche Lebensweg Geraldina Colottis sowie die literarische Qualität der Texte hatten mich überzeugt.


Zur Autorin

Geraldina Colotti, Dichterin und Journalistin, wurde 1956 geboren. Als ehemaliges Mitglied der Brigate Rosse verbü&zslig;t sie immer noch eine langjährige Haftstrafe, kann aber als Freigängerin bei der Tageszeitung “Il Manifesto” arbeiten. Geraldina Colotti hat auch zwei Gedichtbände veröffentlicht.

Pressestimmen

"Eine Philosophin schreibt im Hochsicherheitstrakt ... mal zielgenau, mal ruft sie poetisch die Fantasie des Lesers auf. Die Kraft, in Unfreiheit überhaupt zu schreiben, führt zu äußerster Verdichtung ... Ihre scharf beobachtende Prosa weckt den Wunsch nach weiterer erzählender Literatur von ihr ... Liebevoll stattet Lisette Buchholz im zwanzigsten Jahr ihres Mannheimer persona verlags das kleine Buch mit einem roten Lesebändchen aus. Es ist wie der rote Faden der Geraldina Colotti und ihrer Texte: Sie hat etwas getan, was sie in ihrem Leben nicht mehr revidieren kann." (Harald Loch, Mannheimer Morgen)

"Mal satirisch, mal poetisch, stets anregend." (Ralf Stiftel, Westfälischer Anzeiger)

"Beunruhigende Visionen eines aufrührerischen Geistes. Bitter und sarkastisch im Ton, dabei anrührend, sind ihre Erinnerungen an den bewaffneten Kampf, das Leben im Untergrund, ihr Glaube an die wahren Werte, ihre Festnahme und Haft." (Radio Vaticana)

Textprobe

"Ich glaube, Alles Das muss Schäden hinterlassen. Die Fasern zerfransen, die Gefäße verstopfen, und ich bin nur noch ein Häufchen Gräten in Verwesung. In den Augen habe ich einen Gelatinefilm und in den Ohren in lästiges Brummen. Und mein Gedächtnis? Wie auf einer angekokelten Landkarte sind nur zusammenhanglose Ortsnamen zu erkennen. Der geballte Zorn vergiftet mich. Bald wird aus allen Poren sein widerwärtiger Saft strömen. Also tunke ich meine Feder hinein und überlasse dem Saft meine Flaschenpost: 'Coatlique, Coatlique, unheilvolle, mächtige Gottheit, lass mich All Das überstehen!'
Auf den Tasten der Psyche ruft mein Gebet ein entsetzliches Vibrieren hervor. Die Welle der Töne schwappt vom Tempel der Azteken durch die Zeiten bis in die geheimsten Windungen. Coatlique fängt sie auf und verwandelt die Frau in den Saguaro, den wunderschönen Kaktus, der in der Wüste lebt. Man kann ihn durchlöchern, zerschneiden, zerschlagen, und er hört doch nicht auf zu leben. Man kann ihn schlagen, treten, einsperren, und er wächst weiter und kehrt zurück zu seiner alten Schönheit." (Der Saguaro)