Bilder aus dem Leben Anne Franks
1986 ff.

196 Seiten, engl. Br.
D: € 11,50, A: € 11,90, SFR 21
ISBN 3-924652-06-6

Mies Bouhuys
Anne Kitty und die beiden Paulas


Aus dem Niederländischen von Maria Csóllany
Für Jugendliche ab 12 Jahren

Anne Frank kam 1929 in Frankfurt zur Welt. Als ihre Familie Deutschland verlassen muß, ist sie knapp vier Jahre alt. Die Franks ziehen nach Amsterdam, wo Anne und ihre Schwester Margot wie Holländerinnen heranwachsen. Doch nach der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 beginnt für die Franks erneut die Angst: die Judenverfolgung setzt auch in Amsterdam ein. Im Juli 1942 tauchen sie unter und leben versteckt. Über diese Zeit, über das Zusammenleben auf engstem Raum haben wir Kenntnis durch das inzwischen weltberühmte Tagebuch, das Anne führte. Die Untergetauchten werden verraten und im August 1944 nach Auschwitz deportiert. Anne und Margot werden weiterverschleppt nach Bergen-Belsen. Beide sterben dort. Mies Bouhuys schildert das Leben Anne Franks von 1933 bis zu ihrem Tod. Private Szenen wechseln mit Passagen, in denen die Autorin historische Zusammenhänge erklärt.

Buchentstehung
Mies Bouhuys erlebte als Jugendliche den Krieg in Holland. Ihr Buch über Anne Frank wurde mir von der Agentur Liepman angeboten. 1987 stand es auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises.


Zur Autorin

Mies Bouhuys, 1927 in Weesp geboren, zählt zu den bekanntesten Jugendbuchautorinnen in den Niederlanden. Sie studierte zunächst Pädagogik, später Spanisch. Zahlreiche Übersetzungen. Verfaßte auch Theaterstücke und Musicals. Sie erhielt mehrere Literaturpreise. Krieg und der Nationalsozialsmus sind Themen, die sie immer wieder beschäftigten, nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen in Holland. Mies Bouhyus lebt in Amsterdam und ist in der Anne-Frank-Stiftung aktiv.

Pressestimmen

"So wie Annes Familie aus Deutschland nach Holland flüchtete, so leben auch heute Flüchtlinge aus anderen Ländern in Holland (und in Deutschland). Verhalten können sich Kinder zu solchen Problemen nur, wenn sie Bescheid wissen. Dazu ist das Buch von Mies Bouhuys ein wichtiger Beitrag." (Heike Brandt, tageszeitung)

"In diesem umfangreichen Kinderbuch schildert Mies Bouhuys das Leben der Anne Frank ab dem Jahr 1933. Gleichzeitig werden auch die historischen Zusammenhänge gut erklärt. Das ist auch notwendig, weil viele Kinder gar nicht wissen können, was damals eigentlich passiert ist. Und Kinder sollten solche Bücher lesen ..." (Stefan Gelberg, Der bunte Hund)

"Mies Bouhuys weckt bei älteren Lesern das Interesse, das Tagebuch der Anne Frank wieder zu lesen, ihr Buch ist für Menschen ab sieben oder acht Jahren geeignet, die wissen wollen, wie das damals war ... Mit meinen anfänglichen Zweifeln, ob denn die authentischen Tagebuchaufzeichnungen der begabten Anne Frank noch durch ein zweites Anne-Frank-Buch zu ergänzen seien, räumte Mies Bouhuys auf, denn sie schrieb die notwendige Bereicherung zu diesem Thema dunkler Vergangenheit, die wir heute viel zu leicht verdrängen." (fe, Börsenblatt)

Begründung der Jury: "Die Autorin entfaltet Bilder und Erlebnisse aus der Kindheit Anne Franks. Das Tagebuch und weitere Dokumente sind die Grundlage einer einfühlsamen Annäherung. Kindern wird hier die Geschichte eines Kindes nahegebracht: von 1933, dem Jahr der Übersiedlung der Familie Frank ins holländische Exil bis zu Annes Ende im Konzentrationslager Bergen-Belsen 1945. Die schlichte und verständliche Erzählung hilft Kindern, sich in die historischen Voraussetzungen dieses Kinderlebens hineinzudenken." Die Jury empfiehlt das Buch ab neun Jahren.

Textprobe

"'Hast du noch nie eine Kartoffel gesehen?' fragt eine fröhliche Stimme dicht an ihrem Ohr. 'Pim, wie schön, daß du so früh da bist!' ruft Anne. Sie hakt sich bei ihm ein und macht genauso große Schritte wie er. 'Weißt du, wie man die Kartoffeln aus dem Boden holt?' 'Keine Ahnung', sagt Pim, 'im Herbst vermutlich.' Er schaut nach der Knolle in Annes Hand. 'Du willst mir doch nicht erzählen, daß die hier auf dem Rasen gewachsen ist?' 'Nein', sagt Anne, 'sie gehört Herrn Hirsch.' Und während sie ihm die ganze Geschichte von den Kartoffeln, Zwiebeln und Schuhbändern erzählt, blicken beide zu dem Fenster ohne Gardinen hinauf. Herr Hirsch sitzt an seinem Tisch, den Kopf tief über die Arbeit gebeugt. Sogar von hier unten kann man sehen, wie seine Hand sich beim Schreiben bewegt. 'Er arbeitet sicher an einem Buch', sagt Pim. Anne schüttelt den Kopf. 'Nein, er schreibt Adressen. Mehr als tausend am Tag. Für Taubenfutter. Und anderes Vogelfutter.' 'Taubenfutter?' fragt Pim. 'Ich verstehe kein Wort.' 'Na ja, es ist Reklame oder so was ... Du weißt schon, was man den Leuten ins Haus schickt, damit sie wissen, welches Vogelfutter das beste ist. Und der Professor muß alle Adressen aus dem Telefonbuch abschreiben. Wiesje hat es mir selbst erzählt. Aber ich finde es doch komisch.' Pim schüttelt leicht den Kopf. 'Ihm selbst wird es wohl noch viel komischer vorkommen', sagt er. 'Weißt du, ein Professor in Berlin, das ist schon wer. Die jungen Leute schauen zu ihm auf. Sie lesen seine Bücher, hängen an seinen Lippen. Noch Jahre später wissen sie, wie er die schwierigsten Dinge ganz einfach erklärt hat. Und jetzt ...' Mit einem Seufzer schaut er nochmals zum Fenster hinauf, 'Vogelfutter...' Auch Anne schaut hinauf. 'Der Hitler, gelt...', sagt sie. Pim gibt keine Antwort, er zieht nur die Augenbrauen kurz hoch. Anne weiß, warum. Für ihn ist ein Mädchen, das in die erste Klasse der Montessori-Schule geht, viel zu klein, um über Deutschland und Hitler zu reden. Sie schließt die Hand fest um die Kartoffel und wirft sie dann in hohem Bogen mitten auf den Rasen. Schweigend laufen beide an ihrem Haus vorbei und beginnen ihren allabendlichen Spaziergang: 'Pim und Anne laufen um den Häuserblock', sagt die Mutter dazu. Pim denkt an den Professor in seiner Stube und an das, was Anne ihm erzählt hat. 'Es ist unmöglich, alles vor Kindern wie Anne und Margot zu vertuschen', denkt er. 'Allein an diesem Platz wohnen sechs Familien, die aus Deutschland geflohen sind. Natürlich wird zu Hause und in der Schule darüber geredet.'"